The People Factor Podcast | Episode #128

Poems as food for thought for transformation and life with Ralph Linde

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Contributors
Thomas Kohler

Founder & CEO

A Portrait of Ralph Linde, President of "42 & former top manager at Volkswagen AG. He is guest at the 128th episode of The People Factor Podcast with Thomas Kohler & Yeliz Castillo.
Ralph Linde

President, Poet & Ex-Top Manager

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In today’s episode Ralph Linde, former top manager at Volkswagen AG and Head of Group Development, presents his new German-language book “Das Gefälle dieser Tage”. It covers a range of topics from the closed society and the importance of transformation to the challenges of relationships and the restlessness of modern life. Thomas & Ralph reflect on the role of stories, communication and the impact of poetry on personal and social life. They also emphasise the need to have faith in people and to value the importance of memories and experiences.
We talked about:
  • Who is Ralph Linde
  • Poems and interpretations from his book
  • Efficiency vs Creativity
  • How writing helps to organise and clarify thoughts

Thomas Kohler:
Heutiger Gast, Ralph Linde. Hallo, Ralph, magst du dich kurz vorstellen?

Ralph Linde:
Ja, Ralph Linde, ehemals Manager bei der Volkswagen AG. Ich habe da den gesamten Bildungsbereich geleitet über viele Jahre. Seit Oktober nicht mehr. Seit Oktober bin ich raus aus der aktiven Arbeitsphase bei Volkswagen. Zurzeit bin ich noch Präsident der Softwarehochschulen, Schulen, wie auch immer man das nennen möchte, 42 Wolfsburg Berlin. Das ist ein besonderes Konstrukt, also die 42 ist eine weltweite Organisation, kommt aus Frankreich, Ecole Corondeuse hieß das mal, Schule 42. Und das Besondere an der Schule ist, es gibt keine Lehrer, es gibt keinen Unterricht und es gibt keine Klassenzimmer. Also eine Schule, wie man sie sich wünscht.

Eine sehr, sehr erfolgreiche Schule. Die Studenten verlassen die Schule in der Regel mit einem festen Arbeitsvertrag. Sie lernen bei uns Softwareprogrammieren. Und das lernen sie innerhalb eines Computerspiels. Also 21 Level eines Computerspiels muss man bestehen. Und dann wird man zu einem wirklich richtig guten Softwareentwickler. 42 heißt die Schule, weil abgelehnt, ich weiß nicht, ob du den Film kennst: “Per Anhalter durch die Galaxis.” Da fragt man ja den Computer, was ist die Antwort auf alle Fragen der Welt und der rechnet 30 Jahre und kommt dann raus mit der Antwort 42. Deswegen haben wir die Schule 42 genannt, kommt aus Paris, gibt es in jeder großen Hauptstadt in der Welt und ist eben auf dieses selbstorganisierte, enthierarchisierte Peer-to-Peer-Lernen eingestellt und ist sehr, sehr erfolgreich.

Ich bin sehr froh und glücklich, dass ich da der Präsident sein darf. Das macht ganz viel Spaß, diese Schule weiterzuentwickeln. Es ist eine wundervolle Arbeit, die ich zurzeit nebenher mache, also ehrenamtlich.

Thomas Kohler:
Und du hast auch ein Buch geschrieben, Ralph ist auch Schriftsteller, “Das Gefälle dieser Tage” und da werden wir jetzt vorlesen.

Ralph Linde:
Ja, Lyriker eventuell, Schriftsteller… Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass man zu Menschen, die schreiben, Schriftsteller sagt. Man entwickelt so ein eigenes Selbstverständnis. Da komme ich hoffentlich noch hin beim zweiten Buch. Darfst du mich auch Schriftsteller nennen.

Thomas Kohler:
Dann noch Lyriker.

Ralph Linde:
Die Orte auf den Schildern gibt es nicht mehr. Wegmarken ohne Bedeutung. Alte Passagen sind verschlossen. Gewohntes endet an Abbruchkanten. Gewissheiten verwelken, bevor neue erblühen. Verheißungsvoll zeichnet sich der Neubeginn ab, erregt Unruhe unter den Sesshaften, verwandelt Refugien in winddurchlässige Unterstände, und der Fortschritt baut eine Straße ins All.

Vorwärts, aufwärts, himmelwärts, die hinter den Dämmen gestaute Zeit läuft über den Rand. Portale sind einen Spalt breit offen, Vorläufer zwängen sich hindurch in den Transit. Ihre Spuren verlieren sich in der höheren Ordnung. Die Angelegenheiten haben neue Namen. Kaum etwas bleibt ungeschoren in einer neuen Zeitrechnung. Alle fragen sich, was wird. Und niemand, was bleibt.

Ich frage mal zwischendurch. Wenn ich da reingucke, ist das die Kamera oder nicht? Ja. Ah ja, gut, dann waren wir da ja auch noch.

Thomas Kohler:
Genau, das ist nur für mich oder auch für dich von der Seite, weil wir können dann auch nochmal einbinden.

Ralph Linde:
Ja. Und darüber reden? Nachher sollen wir darüber reden danach? Also du kannst ja einfach, wenn du zu irgendeinem das Gefühl hast, eine Frage zu haben, fragst du einfach.

Thomas Kohler:
Ich werfe immer wieder mal was ein. Transformation, das erinnert mich sehr stark an tatsächliche Change-Versuche in Unternehmen, egal ob klein oder groß. Ich glaube, das kann man in einem wilden Start-up genauso finden wie in einem Großkonzern, oder?

Ralph Linde:
Also ich glaube, diese Themen findest du überall auf der Welt, wo sich Organisationen transformieren oder Menschen dazu gezwungen werden oder gezwungen sind, sich einfach komplett umzustellen. Weil wir alle sehr an dem hängen, was mal war, weil wir alle die Mühsal dieser Transformation irgendwie anstrengend finden und das nicht so leicht ist, findest du immer den Widerstand. Du findest immer den, Also alle sind sehr im Widerstand, im Verlust, in dem, was dann nicht mehr so ist, in dem Gewohnten, das zu verlassen. Und trotzdem ist ja gerade die Transformation, die wir erleben, gesellschaftlich einfach sehr abrupt. Und man muss sich irgendwann lösen. Und was in dem Gedicht auch vorkommt und was ich aber einen spannenden Aspekt finde, ist, dass eben auch das Würdigen dessen, was ist, oft fehlt. Oft sagt man, komm weg mit dem ganzen alten Quatsch, wir brauchen was Neues. Und das funktioniert eben nicht nur deswegen, weil wir daran hängen, sondern weil es auch eine Bedeutung hat für das, was kommt. Und deswegen finde ich auch spannend, nicht immer nur zu fragen, was kommt, sondern auch manchmal die Frage zu stellen, was bleibt eigentlich.

Ja, ich lese dir ein zweites Gedicht vor, das hat weitgehend auch mit Transformation zu tun. Das heißt, was es wurde, Seite 19. Was es wurde. Am Anfang war es nur, was es war, ein Ereignis. Bis ich es fühlte, da verwandelte es sich in ein Erlebnis. Als ich später daran dachte, wurde es zu einer Erinnerung. Indem ich anderen davon erzählte, entstand eine Geschichte.

Meine Geschichte, die irgendwann so wahrhaftig klang, dass ich sie für die Ereignisse hielt. Seitdem frage ich mich, ob den Geschichten, die man sich erzählt, tatsächlich ihre Ereignisse innewohnen.

Thomas Kohler:
Ich muss da sehr stark an wilde Gründer denken, die etwas erzählen, was es nicht gibt, Luftschlösser, und im Nachhinein, manchmal, manchmal aber auch nicht, das wird, was sie erzählen.

Ralph Linde:
Das stimmt einmal, das ist ein Aspekt, dass das, was du vielen erzählst, dann tatsächlich auch wird. Ich glaube, dass das ein wichtiger Aspekt ist, dass man was erstmal in die Welt setzt, mündlich, sprachlich, und dass es dann wird. Es ist aber auch so, das kann ich als älterer Mann vielleicht eher sagen als du, dass wenn man im Rückblick seine eigene Geschichte anguckt, dann hat man die immer gut erzählt. Also Max Frisch hat mal geschrieben, irgendwann erfindet jeder eine Geschichte, die er für sein Leben hält. Und das ist so. Man macht im Rückblick immer noch was dazu. Du siehst immer besser aus in deinen Geschichten, als du wirklich warst. Und so entsteht aber irgendwann, ist die Erinnerung so gnädig zu dir, dass sie die Realität vergisst und dir deine erzählte Geschichte zur wirklichen Geschichte macht.

Manchmal ist es ganz gut darüber nachzudenken, ob das wirklich so war. Ob du wirklich so heroisch warst oder ich und ob die Geschichte so positiv war. Das steckt natürlich auch in Unternehmen. Die erfinden auch irgendwann eine Geschichte, die sie für wahr halten. Die, wenn man genauer hinschaut, vielleicht nicht ganz so wahr war. Das ist nicht böswillig, sondern das passiert einfach irgendwann. Und das ist so ein Automatismus. Aber deswegen fand ich es spannend, mal darüber zu schreiben, wie das ist, dass man eigentlich im Rückblick die Dinge immer noch mal verändert.

Und von dem Ereignis bis zur Geschichte ist ein langer Weg und er hat vielleicht am Ende nichts mehr mit den Ereignissen zu tun. Ja, dann schaue ich mal, was ich noch lesen könnte. Vielleicht eine Seite weiter. Der Text Leben in Skalen. Leben in Skalen. Werten. Pausenlos. Ich finde, ich denke, ich sehe.

Abschließend nach eingehender Betrachtung. Prüfen. Das dargestellte Erfassen, geläufige Indizien aus Anklängen zusammengesetzt. Unnötig, es offen zu lassen, sortiert, naheliegend, mit Sicherheit zutreffend. Sie ist, er hat, ihr werdet. Kein Zweifel. Ein geschulter Blick auf das Wesentliche. Das andere? Irrelevant. Eine Fata Morgana. Flimmernd. Nie Moment der Eindeutigkeit. Urteilen. Einwandfrei. 5. Vollidiot. Glänzend. Nicht irrisierend. Nicht vage. Kein Anfang. Durchs Nadelöhr geht nur ein Faden.

Thomas Kohler:
Da muss ich sehr stark an die Social Media Gesellschaft denken.

Ralph Linde:
Ja. Weil auch ständig bewertet wird, oder?

Thomas Kohler:
Und warum ist die Person jetzt schöner wie ich oder besser oder reicher oder hat einen schöneren Urlaub, was auch immer.

Ralph Linde:
Ja, stimmt. Das ist in Social Media extrem verbreitet. Also auch diese schnelle Urteile, geliked, nicht geliked und gewifft und nicht gewifft. Also man ist gewohnt, schnell Urteile zu fällen. Und das ist so, dass das auch tragischerweise bei Entscheidungen so passiert. Also dass man in Unternehmen ganz schnell Entscheidungen trifft aufgrund von Kurzpräsentationen, aufgrund von einem kurzen Blick auf ein Thema. Und das ist halt oft zu schnell. Und dieses Werten führt einfach dazu, dass wir fast nichts wertneutral oder unabhängig anschauen können, sondern dass wir in der Regel versuchen, relativ schnell ein Urteil zu fällen. Und manchmal ist es gar nicht nötig, ein Urteil zu fällen, manchmal ist es vielleicht auch gut, etwas aufzunehmen und das wachsen zu lassen oder eine Chance zu geben.

Thomas Kohler:
Einfach mal wahr zu nehmen auch.

Ralph Linde:
Ja, und wir neigen ja auch dazu, all dem, was fremd ist, schnell ein Urteil zu geben und all dem, was uns gewohnt vorkommt, eher positiv gegenüber zu stehen. Und damit, glaube ich, verhindert man vieles, was neu entstehen könnte. Deswegen. Ja, jetzt schaue ich mal weiter im Buch. Ich habe mir natürlich ein paar rausgeschrieben, wo ich dachte, die könnten dir als Personaler oder deiner Zuhörerschaft als Personaler gefallen. Vielleicht nehme ich mal 1, das so ein bisschen mehr lyrische Prosa ist, also mehr Text als… Ja, wir nehmen das. Das heißt Kommunikation. Das ist ja was, was uns allen sehr nahe liegt. Das machen wir den ganzen Tag. Das ist Seite 29.

Kommunikation. Vorläufig. Vorläufig nennen wir es so. Bis uns etwas Besseres einfällt. Etwas, das die Menschen nicht verängstigt. Das genügend Spielraum lässt, wenn es anders kommt, offen eben, flexibel. Hauptsache, niemand regt sich auf. Das können wir nicht brauchen, Leute, die sich aufregen. Wie es war, spielt keine Rolle. Wie wir es nennen, ist entscheidend. Darauf kommt es an, wie wir es formulieren, wie es verstanden wird. Das Geschehene einordnen, deuten, bis es real ist. Wie Wirklichkeit. An den Enden darf es nicht ausfransen, abgewogene Sätze, klare Konturen. Es geht um Hoheit. Die Hoheit über die Worte. Erstmal nur ein Arbeitstitel, nur so lange, bis die Richtung klar ist. Wir folgen nicht der Wahrheit, wir erschaffen sie.

Thomas Kohler:
Ich denke da sehr stark an unternehmensweite Kommunikation, dass man gewisse Dinge, oder dass man ein gewisses Bild schaffen möchte. Und deshalb hast du letztens bei diesem Berliner Wine & Cheese Event geredet. Die Leute können ja selber kommunizieren. Warum muss man denen aufzwingen, was kommuniziert wird?

Ralph Linde:
Ja, das ist, glaube ich, eine der ursächlichen Veränderungen gerade, dass wir immer glauben, dass die Hierarchie oder die Menschen, die das Sagen haben in Organisationen, auch wissen, wo es hingeht. Und deswegen ist die Kommunikation am besten auch so, dass man da schon allen vermittelt, wo es hingeht. Genau, es unterstellt einfach, dass die Menschen selber vielleicht nicht herausfinden, wo es hingeht, sondern geleitet werden müssen. Und ich glaube, dass man da viel mehr Zutrauen haben kann in die Menschen, weil letztlich glaube ich, die Menschen in Organisationen in ihrer Gesamtheit schon eine Idee haben, wo es hingeht. Vielleicht noch mehr als einzelne Führungskräfte das haben können. Und ja, habe ich so ähnlich gemeint, wie du es sagst.

Ja, wir schauen mal vielleicht etwas, was nicht unbedingt direkt mit Arbeit zu tun hat. Ich schaue mal, was ein weiteres Gedicht sein könnte. Ach, das ist ein, das mag ich, das heißt, “Was wird sein” auf Seite 30? Ja, Was wird sein? Was wird sein, wenn wir alles herausgefunden haben? Die Zeit, die ein Regentropfen braucht, vom Himmel auf die Erde und wieder zurück in den Himmel zu gelangen. Die Frequenz jener Schwingung, mit der ein Gedanke einen anderen zum Mitschwingen anregt. Die Beschaffenheit dieses Moments, der den Unterschied macht zwischen Eins-werden und Fremdbleiben. Die Umstände, unter denen aus Liebe Verbundenheit wird, was wird sein, wenn wir das alles herausgefunden haben? Ob dann immer noch ein Herz das andere erweicht?

Thomas Kohler:
Also ich würde das assoziieren mit einer gewissen Weise auch, dass Glücklichsein gar kein Zustand oder ein Zustand ist, sondern eher der Weg dorthin macht einen eher glücklich. Und wenn man angekommen ist, verspürt man oft eher Leere, weil man nicht weiß, was sein wird oder was als nächstes kommt. So würde ich das jetzt mal interpretieren.

Ralph Linde:
Also das Schöne an so Gedichten ist ja, dass jeder das drin liest, was er lesen will. Insofern ist es genau, also das, was du drin siehst, ist es und passt auch. Ich kann eben eine Interpretation hinzufügen. Es ist halt so, dass wir wirklich versuchen, immer alles vorher zu wissen. Also wenn ich in Urlaub fahre, gucke ich auf Booking.com, wie die Bewertungen sind. Wenn ich eine neue Partnerschaft suche, dann schaue ich halt auf einer Plattform, wie sich Menschen beschreiben, was sie an Likes haben. Wenn ich ein neues Buch kaufe, schaue ich erst mal die Rezensionen an und so. Also dieser Versuch wirklich alles herauszufinden, bevor es passiert, der nimmt ja auch was.

Also der nimmt dir ein bisschen das Erlebnis und die Frage ist, was bleibt eigentlich noch von der Natürlichkeit des menschlichen Miteinanders, wenn ich alles berechnen kann, was man berechnen will. Also zweite Interpretation gäbe 1000 andere, aber die wäre möglich. Ja, eines, das man gar nicht interpretieren muss, musst du dir beim Hören gar keine Gedanken machen. Tidenhub, Seite 56. Ja, auch für die nicht an der Küste wohnen, Tidenhub.

Tidenhub. Ich liege im Watt Und warte auf die Flut. Über mir hat der Wind die Wolken auseinandergerissen und ein Stück blauen Himmel freigelegt. Meine Fersen versinken im weichen Sediment. Eine Strandkrabbe starkst an meinem Kopf vorbei, eilig, als hätte sie noch etwas Wichtiges zu erledigen. Ob mich das Gewicht des auflaufenden Wassers zu Boden drücken oder ob die Flut mich tragen wird. Der Schlick saugt Sie mich an sich. Die Schreie der Möwen sind dumpf und fern, das Wasser läuft mir in die Ohren. Die Tede hebt sich stetig, leichte Böen kreuseln die Oberfläche, als wollten sie die Rückkehr der See beschleunigen. Meine Nase wird das letzte sein, was aus dem Wasser ragt, wie der Schnorchel eines Tauchers. Ich spüre langsam keinen Unterschied mehr zwischen mir und dem Meer. Es umströmt mich, alles schmeckt salzig. Wegen mir wird das Wasser nicht aufhören zu steigen. Wegen mir hat noch nie etwas aufgehört oder begonnen. Meine Augen brennen. Ich schließe die Lieder, den Mund. Weit entfernt höre ich das Murmeln der See, empfinde nur noch Licht und Schatten. Wenn euch die Nachricht erreicht, dann werdet ihr es bereuen, bitter bereuen. Eine kleine Welle schwappt über mein Gesicht. Für einen Augenblick bleibt mir die Luft weg, dann schließt sich das Wasser über mir. Den hat die See geholt, werden sie sagen.

Hoffentlich etwas, was uns beiden nicht passiert irgendwann mal. Ja, ich schaue mal weiter. Vielleicht ein Liebesgedicht, mal ein gereimtes. Weil ich schreibe überwiegend Gedichte, die nicht gereimt sind, aber manche sind gereimt. Und das ist ja ein Gedicht über ein Paar. Und das Gedicht heißt Mit der Zeit. Auf der Seite 62.

Mit der Zeit. Die Gespräche waren früher deutlich länger Und ihr Lächeln war es manchmal auch, Die Umarmungen, sie waren etwas enger, Damals hatte er noch keinen Bauch. Sie konnten lange miteinander schweigen, seine Späße fand sie meistens amüsant, heute neigt er sehr zum Übertreiben und sie lacht ein wenig überspannt. Langsam driften ihre Seelen auseinander, so weit, dass kein Wort das andere erreicht, wie ein ausgeleierter Expander, dem die Kraft aus seinen Bändern weicht. So vieles hat sich früher eng verbunden, Auf die Feiertage hat man sich gefreut, so lautlos wie es kam, ist es verschwunden. Ein jedes Ding hat eben seine Zeit. Auch das erlebt man vielleicht, erlebt man hoffentlich nicht, das ist offen. So, ich schau mal, was wir noch lesen könnten.

Ja, vielleicht lese ich das. Das ist ein Gedicht über mein Land. Passiert ja viel in unserem Land. Und das Gedicht heißt auf Seite 82, In meinem Land. In meinem Land haben die Säle eine Ordnung, wie die Kleider und jedes Baugebiet. In meinem Land kann man von anderen etwas erwarten, Ruhe nach Einbruch der Dunkelheit und Vorfahrt. In meinem Land hat Handwerk Tradition, Karneval und Tatortschauen am Sonntag. In meinem Land entsteht Wohlstand durch harte Arbeit, Fleiß und alle haben gleiche Chancen.

In meinem Land herrscht Vernunft, nicht Annahmen, Ahnungen oder Gefühle, sondern Kalkulationen. In meinem Land wird alles leidenschaftlich sortiert, damit es am richtigen Platz ist. In meinem Land gehört man zur Mitte, nicht zum Rand, ausgewogen, im Gleichgewicht. In meinem Land lachen die Menschen über Comedians, nicht über andere, vor allem nicht über sich selbst. In meinem Land sammeln sie sich unter Fahnen, sobald der erste Windhauch hineinfährt. In meinem Land sind wir offen für Veränderung. Gerne stellen wir alles in Frage, außer uns.

Thomas Kohler:
In Österreich würde man sagen, die Deutschen.

Ralph Linde:
Ja, in Österreich, das ist ein schöner Vergleich. In Österreich würde man wahrscheinlich sagen, die Deutschen. Ja, das ist ja sehr schön. Vielleicht noch ein Gedicht, das auf Seite 27 steht und Kaizen heißt. Wir bewegen uns ein bisschen in den Anfangszeiten des Buchs, meist weil es da Sandeln und Transformationen geht. Das Gedicht heißt Kaizen, das kennen alle, die in der Industrie irgendwo arbeiten und die mit Verdichtung und mit Effizienz und solchen Themen gut vertraut sind.

Thomas Kohler:
Schneller, besser.

Ralph Linde:
Genau, schneller, besser, weiter. Und es ist deswegen nicht so einfach vorzulesen, das kann ich dazu sagen, weil es hat ein grafisches Element, dass nämlich ein paar Worte immer weniger werden, bis fast nichts mehr zu lesen ist. Aber ich versuche das so vorzulesen, dass ihr das mitbekommt.

Kaizen. Automatisierung des Selbst. Verwandlung in ein Zahnrad, in einen reibungslosen Teil der Maschine. Gut geölte Gliedmaßen, kein Gedanke zu viel, funktionstüchtig. Überlebenskonzept der Monotonie. Lessons learned, Ausrufezeichen. Less earned, Ausrufezeichen. Le net, Ausrufezeichen. Ld, Ausrufezeichen. Ausrufezeichen. Der magersüchtige Homo economicus eliminiert das letzte bisschen Überfluss aus den Arbeitsprozessen. Lang lebe der kurzzügliche Takt. Hoch die leeren Tassen. Seine Obsession mit immer weniger auszukommen reduziert Zeiten, Wege, Kosten, Menschen, Unterschiede.

Der Karnevalstintenfisch kann sich in die verschiedensten Lebensformen verwandeln. Er kann ein Feuerfisch, eine giftige Seeschlange, ein Stachelrochen, eine Flunder oder eine Seeschnecke sein. Nur Tintenfisch zu sein, würde er nicht überleben. Der Karnevalstintenfisch hat Zeit gebraucht, diese diversen Verkleidungen zu entwickeln. Dabei hat er unzählige Varianten ausprobiert und wieder verworfen, solange bis aus dieser Verschwendung an Möglichkeiten die beste Anpassung an seine Welt wurde.

Thomas Kohler:
Ich denke da sehr stark an so viel verbessern, dass irgendwann mal gar nichts mehr vom Ursprung übrig ist.

Ralph Linde:
Ja, es ist so ein bisschen eine schwere Situation, muss ich mal alles gleich interpretieren. Müssen wir nicht, aber das stimmt schon. Es gibt diesen Begriff vom Tod sparen oder irgendwann ist nichts mehr über. Aber ich glaube da passen Organisationen schon auf, dass sie sich nicht ganz wegsparen. Aber die Frage ist, ob man, wenn man schon diesen Prozess sehr stark macht, in den Tintenfisch investiert. Also ob man genügend, also in den Veränderungsprozessen nennt man das den Alpha-Zustand, den Alten-Zustand, den Beta-Zustand, den man erreichen will, wo man sich hin transformieren will. Die Frage ist, ob man in so Krisensituationen nicht immer auf die Muster zurückgreift, die man gut kann.

Das machen Menschen individuell, das machen aber auch Organisationen und dann fällt einem halt in so einer großen Transformation nicht viel mehr ein als Effizienz und weitere Einsparmaßnahmen, die ganz sicher nötig sind. Das verstehe ich sehr gut. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehr viel investieren in das Neue, sehr viel in den veränderten Zustand. Und ich glaube, dass man das oft vergisst und eben ins alte Muster zurückfällt und das macht, was man gut kann. Und das ist in der Regel das, was einen mal erfolgreich gemacht hat. Und insofern glaube ich, und das sollte dieser Text ein Stück weit ausdrücken, nicht zu vergessen, auch in den Karnevalstintenfisch zu investieren, weil der ist wahrscheinlich eher die Zukunft.

Ja, vielleicht lesen wir noch eines. Ja, vielleicht lesen wir das tatsächlich. Ganz am Anfang ist ein Gedicht, das du am Anfang erwähnt hast, das habe ich auf der letzten Lesung gelesen. Der Raum vor mir, Seite 14. Ja, lese ich einfach einmal. Auch schon gibt es so viele Gedichte, die man gar nicht wirklich interpretieren kann. Die sind so, wie sie sind, und das gehört sicher dazu.

Der Raum vor mir. Das Zimmer, in dem ich einmal sterben werde, gibt es schon. Ein Bett steht darin, ein Schrank, Bilder an der Wand. Es hat einen Eingang, durch den ich es betreten werde. Es hat einen Ausblick, vielleicht auf den Himmel, auf ein Haus gegenüber, auf Fenster, hinter denen das Leben ungerührt weitergeht. Die verbleibende Zeit bewege ich mich auf diesen Raum zu. Obwohl wir noch nichts voneinander wissen, verpassen wir uns nicht. Vermutlich werde ich ihn mir nicht aussuchen können, nicht auf Booking.com herausfinden, wie es sich dort sterben lässt. Es war ein einmaliger Aufenthalt, ich werde wiederkommen. Ein Zimmer ohne Aussicht auf mehr.

Ja, in meinem Alter darf der Tod in einem Gedichtband nicht fehlen. Jetzt schaue ich, ob ich noch eines lesen kann. Du kannst dich wahrscheinlich auch nicht an alle erinnern. Vielleicht lese ich noch “Der Mai.” Das ist ein ungewöhnliches Gedicht, weil es so, ja, also ungewöhnlich zu vielleicht den Texten, die ich sonst geschrieben habe. Deswegen würde ich das noch lesen.

Der Mai. Der Mai klatscht den Mohn auf die Wiesen und verpulvert die restlichen Farben aufs Gratewohl in der Landschaft. Ein Trommelwirbel für den Sommer. Während die Sonne die Knospen aus den Stängeln saugt, kann ich den Kopf nicht recken. Kein Lichtstrahl erreicht meine Herzkammer, kein Windhauch unter den Flügeln. Draußen wird es unerträglich üppig, alles sprießt, das Grün wächst mir über den Kopf. Diese Explosion der Säfte nur anschließend wieder auszutrocknen, Laub ist das, was bleibt und trockener Rasen. Bald hat die Hautkonjunktur, muss raus, braun werden wie Kastanienmännchen, Blass liegen dann als Hohlspiegel geöffnete Körper auf Liegewiesen, bis sie kross werden. Ich werde bleich bleiben. 0 Krebsrisiko, 0 Bock auf diesen Sommer. Als wenn alles besser würde, weil es abends länger hell bleibt. Ich schwitze nachts, anstatt zu schlafen. Ich mag es, wenn es früher dunkel wird. Ich werde auch im Herbst noch auf dich warten.

Mal ein Antisommergedicht von jemandem, der den Sommer eigentlich nicht unbedingt abwarten möchte. Zum Abschluss vielleicht ein… Ach, du hast einen Wunsch, gerne. Rastlos.

Thomas Kohler:
Ich glaube, das trifft heutzutage bei ganz vielen Menschen zu, ne?

Ralph Linde:
Ja, Rastlos trifft auf viele Menschen zu und auf fast alle, glaube ich, am Ende. Also dann lesen wir jetzt noch 2 Gedichte, Rastlos, und dann machen wir noch eines zum Abschluss. Obwohl, vielleicht noch 2 kleine, wir schauen mal. Also Rastlos.

Rastlos. Permanent mit etwas befasst. Belegt. Lückenlos beschäftigt. Mit kleinen Taten. Tätig. Angelegenheiten in der Reihe. Unruhig wartend. Emsig. Ausdrücklich lebendig. Die Unruh, schwingend eingebaut im Werk, im Sinn, konstant zweckmäßig. Not der Tätigen, existieren durch Ergebnis, die Verwendung Bemessener Zeit. Geschehen lassen, ohne einzuwirken, verschwendet, unnütz, im Vergleich untätig. Angst vor Leere, vor dem, was ist, wenn nichts ist. Vor mir. Treibstoff des Rastlosen.

Thomas Kohler:
Ich finde das für mich sehr gut. Ich war immer sehr rastlos. Ich würde sagen, bin ich generell immer noch, aber ich habe vor so ein, 2 Jahren gelernt, da meine Firma jetzt auf einem Level ist, wo sie echt ohne mich funktioniert, auch einfach mal Ruhe zu geben und die Dinge passieren zu lassen. Was für mich ganz erstaunlich war, wir haben dann noch mal weitere Wachstumsschübe erlebt, einfach nur weil viel mehr Personen im Team viel mehr Verantwortung übernommen haben und ich dadurch viel gesünder und viel nachhaltiger wachsen konnte und ich mir jetzt die Aufgaben aussuchen kann. Und manchmal mache ich halt einfach nichts.

Ralph Linde:
Ja, das glaube ich. Was du da erlebst, ist, glaube ich, auch ein Stück dieser Transformation, dass Menschen, die alles im Griff haben wollen, auch das Nadelöhr für alles sind, was passiert. Und dass die Menschen, die nicht entscheiden dürfen, sich halt auch irgendwann hinsetzen und sagen, ja, da entscheidet ja sowieso immer jemand anders. Und das Vertrauen, wenn man es dann loslässt, das permanent befasst sein, ist natürlich dann etwas, was in der Organisation manchmal Ketten sprengt oder Kräfte löst, die dann agieren können.

Thomas Kohler:
Ja, und auch, dass man lernt, dass man nicht immer gebraucht wird und dass es noch andere Dinge im Leben gibt als zum Beispiel die Führungsposition oder die Verantwortung oder das Unternehmen. Dass außerhalb von dieser Ebene noch ganz viel passieren kann. Und ich glaube, oft wenn man so rastlos unterwegs ist, verpasst man dort was bzw. vernachlässigt man das stark. Und wenn man dann wieder irgendwo angekommen ist, so wie das vorherige Gedicht, Was wird sein, dann hat man das erreicht. Vielleicht hat man ja mal gestartet, nicht mehr arbeiten zu müssen, zum Beispiel. Aber irgendwann müsste man es dann vielleicht nicht mehr. Und dann ist man aber leer und weiß gar nicht, wofür.

Ralph Linde:
Ja, wenn das zum Selbstzweck wird, irgendwann das Arbeiten. Und wenn du es auf einer ganz persönlichen Ebene anschaust, ist es auch so, außerhalb von Organisation oder im Beruf, ist man ja auch ständig beschäftigt. Also dann hat man mal frei und dann ist man nur noch auf Instagram und guckt, was es an neuen Storys gibt und man ist schon ganz nervös, weil am Mittag ist eine Stunde Freiraum, Was mache ich da? Also man plant sich ja auch permanent eigentlich alles, was frei wäre, aus. Weil man irgendwie das Gefühl hat, nicht beschäftigt zu sein, ist nicht okay. Ist so ein Müßiggang. Darf man nicht. Und insofern bietet die Gesellschaft natürlich eine Million Fluchtpunkte, mit denen ich mich von morgens bis abends beschäftigen kann. Und das endet ja das Gedicht mit dem, also Angst vor Stille oder Angst vor mir selber.

Also wenn du gar keine Zeit hast, dir selber zu begegnen, weil du ständig anderen begegnest irgendwo, dann wird das auch nicht passieren. Und deswegen ist damit auch ein bisschen eine Entfremdung verbunden, mit diesem ständig beschäftigt sein. Aber man kann es auf Organisationen, glaube ich, auch ganz gut beziehen. Vielleicht noch ein Gedicht über Beziehung, ein ganz kurzes. Kurze Gedichte sind immer beliebt, weil da muss man nicht so lange zuhören. Das Gedicht heißt Und ich.

Und ich. Oft weiß ich nicht, was ich will. Dann finde ich heraus, was du willst und fühle mich übergangen.

Zumindest habe ich die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man gar nicht weiß, was man möchte, fragt man oft den Partner, was willst du denn? Und wenn der dann schnell eine Idee hat, habe ich oft das Gefühl, Man fühlt sich dann irgendwie überkrankend, weil da doch nicht das passiert, was man eventuell doch gewollt hätte.

Thomas Kohler:
Und dieses Gedicht über die Männer, das fand ich noch super.

Ralph Linde:
Über die Männer, warte, das hieß KI-Männlich.

Thomas Kohler:
Ja, das war super.

Ralph Linde:
KI-Männlich, das schaue ich gerade.

Thomas Kohler:
72.

Ralph Linde:
KI-Männlich. Ich habe neue Funktionen an mir entdeckt. Zum Beispiel bin ich jetzt in der Lage, von mir abzusehen. Ich kann die Dinge also nicht mehr nur aus meiner Perspektive sehen, sondern auch aus jeder anderen. Da ich nicht weiß, wobei mir das helfen soll, habe ich mich dazu entschieden, diese Funktion nicht anzuwenden. Diese Funktion nicht anzuwenden.

Vielleicht ein männliches Phänomen, dass wir die Welt nicht gerne aus anderen Augen sehen. Ja und vielleicht abschließend noch ein Gedicht, das eins, ja nee, das ist ja alle irgendwie, also aber das ist ein, also ich mag dieses Gedicht, wir müssen es auch nicht interpretieren. Es heißt Karibu und ist auf Seite 99. Heute Nacht, also Karibu, Heute Nacht traf ich im Traum ein Karibu. Es stand vor mir und starrte mich mit seinen großen braunen Augen an. »Hey«, sagte ich, »Karibu, was willst jetzt du?« Es sagte nichts und starrte nur. In Karibu-Augen kann man tief sinken, so tief, dass man Angst bekommt, nie wieder aufzutauchen. Hey, du, sagte das Karibu, lass mich in Ruhe. Ich bin kein Karibu, ich bin ein Gnu. Dann war es weg. Ich war untröstlich.

Nichts zum Interpretieren. Ja, Auf der allerletzten Seite, ganz allerletzte Seite, ist ein ganz ganz kleines Gedicht. Das ist so klein, dass es fast unscheinbar auf der letzten Seite steht. Und das heißt Trauer. Und das ist ja was, was man, so das merke ich gerade in meinem Alter, erlebt man das natürlich mit mehr Vorkommnissen, als man das in jungen Jahren hat. Und man merkt einfach, dass Trauer was wirklich Ungewohntes, Schweres ist. Und ja, ich habe versucht, das in ganz wenigen Worten zusammenzufassen, was ich glaube, was es meint oder was es macht.

Trauer. Ein Meer voller Worte. Keines kann schwimmen. Steht nicht umsonst am Ende des Buchs. So viel zum Lesen aus diesem Buch: Das Gefälle dieser Tage. Wenn du wissen möchtest, warum der Titel so heißt, willst du wahrscheinlich wissen.

Thomas Kohler:
Ich würde mich auch interessieren, wie bist du denn generell dazu gekommen, du warst ja echt Topmanager bei VW, dass du dann in diese Richtung gehst.

Ralph Linde:
Also es ist so, dass ich irgendwann mal studiert habe in jungen Jahren. Ich habe unter anderem ein Studium abgeschlossen, das nennt sich Sprechwissenschaften. In dem Studium hat man verschiedene Schwerpunkte. Ich hatte 3 Schwerpunkte. Das eine war Rhetorik, was mir im Leben sehr geholfen hat beim Reden halten und beim Sprechen vor Menschen. Der zweite Schwerpunkt war Sprechtherapie, also Therapie mit Stotterern, Stammlern, Aphasikern, Menschen, die nach einem Hirnschlag die Sprache verloren haben. Und der dritte Schwerpunkt, der mich immer wahnsinnig interessiert hat und mich sehr mitgenommen hat, war Lyrik und Prosa sprechen. Also Lyrik sprechen.

Ich hatte auch Prüfungen in Lyrik sprechen in diesem Studium. Es ist ein sehr interessantes Studium. Und zu der Zeit habe ich angefangen zu schreiben und habe eigentlich alles, was ich in meinem Leben irgendwie erlebt habe und verarbeiten musste, aufgeschrieben. So ein bisschen aus der Not. Also ich habe oft geschrieben in Situationen, die für mich unangenehm waren, die mir die Not gebracht haben, was aufzuschreiben, was ich vielleicht nicht öffentlich erzählen konnte. Und so habe ich begonnen, ja, über mein Leben hinweg viel zu schreiben und immer wieder Texte zu schreiben, die sich unheimlich verändert haben im Laufe der Jahre. Aber ich habe auch in meiner Funktion bei Volkswagen tatsächlich ganz viel geschrieben. Also das Schreiben verändert sich natürlich mit der Zeit.

Einmal inhaltlich in der Zeit, in der ich gearbeitet habe, haben sich natürlich die Themen verändert. Es hat sich aber auch der Schreibstil sehr stark verändert. Ich habe angefangen mit sehr, sehr vielen Reimen. Das hat mir große Freude gemacht, alles zu dichten und immer einen guten Reim zu finden. Das ist inzwischen so, das merkt man auch in dem Buch, Da sind noch 3, 4, 5 drin, die sich reimen. Und die große Menge reimt sich nicht mehr. Also das verändert sich einfach mit der Zeit. Aber das Gefühl, dass mir das Leben leichter fällt, wenn ich manches von dem, was mich beschäftigt, aufschreibe, das habe ich eigentlich ein ganzes Leben. Und Ich hatte mir immer vorgenommen, wenn ich aufhöre zu arbeiten, dann würde ich nur noch schreiben. Und jetzt bin ich super froh, dass das auch gut funktioniert.

Thomas Kohler:
Das resoniert auch sehr stark mit mir. Ich schreibe mir auch sehr viel auf. Vor allem, man kann ja immer digital schreiben, Meetings werden ja mittlerweile schon aufgezeichnet. Dieses weiße Blatt Papier und ein Stift, damit man keine Form hat, an die man sich halten muss. Also zweidimensionales Blatt Papier, um dann einfach abzubilden, was man sich denkt und was einem gerade jetzt rumschwimmt im Kopf. Das ist für mich sehr wertvoll, damit man eine gewisse Klarheit hat und dass man auch gewisse Dinge einfach konsolidiert und sammelt.

Ralph Linde:
Ich glaube, es ist manchmal auch spannend, etwas aufzuschreiben, weil in dem du es aufschreibst, bekommt es so eine Verbindlichkeit und eine Klarheit. Wenn man so redet, es ist auch ein Gedicht drin über den Unterschied zwischen gesprochenen Worten und geschriebenen Worten, Und es ist so, dass aufschreiben dich zwingt, es sehr klar zu formulieren, während du mündlich noch im Nebulösen bleiben kannst, ist aufschreiben etwas, das auch den eigenen Denkprozess klärt.

Viele Schriftsteller schreiben ja, dass sie Angst haben, ich habe es irgendwo mal gelesen, Angst davor zu haben, vom leeren Blatt Papier, das geht mir gar nicht so. Also ich sitze vor diesem leeren Blatt Papier und mir fällt oft was ein und ganz oft habe ich Tage, wo ich sage, ich kann einfach auch nichts schreiben. Also mir fällt auch gar nichts ein, ich bin komplett leer. Dann habe ich keine Angst, dann lege ich. Also das ist aber, naja, das ist natürlich nochmal was anderes, wenn du einen Termindruck hast und du musst was schreiben und du lebst davon, dann kann ich schon verstehen, dass das auch Angst machen kann, weil da was Gutes hinzuschreiben, was der gefällt und so, das ist glaube ich schon, kann einem dann schon unter Druck setzen.

Thomas Kohler:
Danke, Ralph, für die Lesung.

Ralph Linde:
Ja, gerne. Danke schön, dass du mich eingeladen hast und ja, bin gespannt, was du draus machst.

Zustände. Neulich traf ich einen chinesischen Forscher, der Geräusche sammelt, die Geräusche einer Maschine. So wie Menschen husten, seufzen oder rasselnd atmen, verraten ihm die Töne ihres Innenlebens, wie es ihr geht. Er fand elektrisches Surren, rhythmisches Zwitschern, magnetisches Rauschen und Schlupfgeräusche. Aufmerksam lauschte er ihre Arbeit und erstellte Prognosen zu ihrer Lebensdauer. Er sprach anteilnehmend über ihre technische Beschaffenheit, bedauerte die Abnutzung und war betroffen über Defekte. Mit der Zeit war ihm der Mechanismus der Apparatur zum Körper und jeder Laut zum Leid geworden. Er hörte ihr zu, wie man einem Menschen zuhört, und er redete mit ihr, obwohl sie nicht antwortete. Als wir uns voneinander verabschiedeten, stand er neben ihr, die Hand auf der Abdeckhaube und lächelte mir nach. Poesie ist nur eine Frage der Zeit.

Ja, eine Hommage daran, dass egal wie technisch deine Arbeit ist, sie am Ende dich so erfüllen kann, dass sie Poesie wird. So wie bei diesem Forscher, den ich tatsächlich getroffen habe bei einem Besuch einer Universität in China. Also den gibt es tatsächlich und auch seine Maschinen.

A Portrait of Ralph Linde, President of "42 & former top manager at Volkswagen AG. He is guest at the 128th episode of The People Factor Podcast with Thomas Kohler & Yeliz Castillo.

About the guest

Ralph Linde

Ralph Linde is a former top manager at Volkswagen AG and was Head of Group Development. He is currently the president of ‘42’, two software schools in Berlin and Wolfsburg, and a poet. He has just published his first book, ‘Die Gefälle dieser Tage’, which is available from Athena Verlag.