- Corporate Influencing als neues Recruiting-Tool
- Erfolgsbeispiel aus der Praxis
- Herausforderungen und Chancen für Frauen am Arbeitsmarkt
Thomas Kohler:
Heutiger Gast, Prof. Dr. Anja Lüthy, BWL-Professorin.
Du hast ja auch davon gesprochen, dass der Inhalt für die jetzige Generation anders konsumiert wird und dass man sich dahingehend auslegen muss als Unternehmen. Inwiefern passt das alles zu dem Thema Corporate Influencing zusammen?
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Also ich habe angefangen mich damit zu beschäftigen, als ich vor genau zehn Jahren, 2014, ein, man halte sich fest, drei Minuten und 14 Sekunden lang dauerndes Video gesehen habe von der Firma Zendesk. Das ist ein Unternehmen aus San Francisco, die beschäftigen sich mit Ticketsystemen. Und die hatten diesen tollen Film reingestellt, ich weiß nicht, wie ich den entdeckt habe, und haben gezeigt, wie cool das Arbeiten bei Zendex ist, und haben dann ihre Software erklärt, haben dann gesagt, well, this doesn’t sound cool, but we are making it cool. Die haben dann ihre ganzen Teams gezeigt, die haben dann einen leeren Stuhl gezeigt, this chair is empty, it’s so sad here without you. Also so ein bisschen amerikanisch emotional vor zehn Jahren und da kam bei mir der Gedanke genau, die Stellenanzeige wird sich langsam aber sicher in Luft auflösen. Die ist zu lang, das dachte ich schon vor zehn Jahren, zu trocken, zu langweilig. Man kann doch heute filmisch den interessierten Kandidaten, den potenziellen BewerberInnen eigentlich einen Blick hinter die Kulissen geben. Wie fühlt sich das Arbeiten in dem Unternehmen an, was jetzt gerade eine Stelle zu besetzen hat. Und dann geht das weiter. Das ist jetzt mal so der historische Abriss, der läuft sich auf die letzten zehn Jahre. Ich weiß nicht, ob ich jetzt weitermachen soll.
Thomas Kohler:
Kurz möchte ich noch etwas zu Zendesk sagen, weil ich finde, die sind wirklich genial gewesen. Es gab auch aus einer SEO, also Suchoptimierungssicht, ein Kunststück, würde ich das nennen. Wenn man jetzt zum Beispiel Software kauft, dann googelt man vielleicht den Anbietername und Alternativen. Und Zendesk hat festgestellt im Marketing, dass ein Keyword oder eine Suchanfrage recht häufig gesucht wurde. Zendesk Alternatives. Also die Alternativen zu Zendesk. Und was die gemacht haben, die haben dann intern auch ein Video gemacht und haben eine Zendesk Band gegründet und die Band hieß Zendesk Alternatives. Dass wenn man als potenzieller Käufer von einer Software nach Zendesk Alternativen sucht, findet man nicht die Mitbewerber, sondern das Video, wo die Sendesk-Band singt, finde ich auch genial.
Anja und ich haben über Corporate Influencing gesprochen, mit Beispielen von amerikanischen Konzernen, deutschen Konzernen, deutschen kleinen Betrieben, wie man das nutzen kann, welche Limitationen es auch hat und worauf es ankommt und wie man auch Frauen generell am Arbeitsmarkt mehr partizipieren lassen kann, das große Problem, dass wir in Deutschland knapp eine halbe Million Mitarbeiter pro Jahr verlieren werden, durch das Inrente gehen der Babyboomer und der niedrigen Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten.
Guten Morgen, Anja. Freut mich! Wir haben uns, glaube ich, letztes Jahr in Berlin kennen gelernt. Auf dem Embrace oder RC Festival hat es, glaube ich, da nochmal geheißen. Und ich kann mich erinnern, da bin ich neben dir gesessn und da hast du mit einem Kollegen irgendwas besprochen. Ich bin ganz nah neben euch gesessen und habe gegessen. Dann haben sie mich so angeschaut und ich habe euch so angeschaut und habe ihr gesagt, dass ihr bei der Kriminalpolizei oder irgendwas arbeitet. Das war so ein Witz und dass ich nicht mithören darf. Ich kann mich noch erinnern, das war recht lustig. Und ungefähr so ein, zwei Stunden später haben wir uns dann in so einer Gruppe von Leuten getroffen. Ich weiß nicht mehr, wer da dabei war. Dann haben wir noch mal geredet. Dann hatten wir einige gemeinsame Bekannte gehabt. Und dann haben wir auch mal gesagt, es wäre cool, wenn wir einen Podcast machen. Jetzt sind wir hier, Episode 100. Ich freue mich, mit dir über Corporate Influencing zu reden. Aber vielleicht starten wir mit einer kleinen Vorstellung zu dir.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Ja, Thomas. Also erst mal hallo von meiner Seite aus der Hauptstadt. Danke für die Einladung. Ich bin Anja Lüthi. In meinem hauptberuflichen Leben bin ich BWL-Professorin an der Technischen Hochschule in Brandenburg. Nebenbei habe ich eine kleine Ein-Mann-Firma seit genau 20 Jahren, TCO Berlin. Und da begleite, berate ich seit eigentlich über 20 Jahren, die Firma wurde dann vor 20 Jahren gegründet, überwiegend Unternehmen aus der Gesundheitsbranche oder Sozialbranche, Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten und so weiter, vor 20 Jahren noch mit dem Schwerpunkt, wie baue ich eine gute Kultur auf. Das hieß damals, wie kann ich meine Mitarbeiterorientierung optimieren? Und heute ist es eben die Beratung, wie gehen wir den Fachkräftemangel an mit professionellem Employer Branding, Personal Marketing, Recruiting, Schrägstrich, unter Einbindung der eigenen Mitarbeiter. Und das ist ja heute auch unser Thema, Corporate Influencer als Jobbotschafter in Unternehmen.
Thomas Kohler:
Ja, ich habe auch schon ein bisschen gestöbert und habe gesehen, du warst auch bei einem ZDF-Beitrag mit dabei, wo es darum ging, dass in Berlin ein Tiefbaubetrieb, glaube ich, jährlich, wenn ich so 10, 15 Azubis einstellen möchte, weil man Arbeiter benötigt, die Arbeit durchführen im Tiefbau und ich glaube ein Bäcker war auch mit dabei, wo auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht wurden.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Das Unternehmen DAO war dabei aus Schleswig-Holstein. Das ist der Badezimmer DAO in einem 750-Seelen-Dorf. Die Kinder hatten das Unternehmen von den Eltern übernommen, weil die Eltern gesagt haben, wir müssen schließen, wir finden keine Fachkräfte mehr für die Installationsbranche. Und dann hat der Sohn gesagt, kein Problem, hat einen Social Media Manager eingestellt und hat angefangen, das war so im Jahr 2022, täglich auf Instagram, später auch auf TikTok, zu posten, wie cool sich das Arbeiten bei den Daulas anfühlt. Und dann haben die tatsächlich 2023 über diese hochfrequente Ausspielung von sehr lustigen Posts 35 neue Mitarbeiter eingestellt, was ja für die Installationsbranche in einem winzigen Ort zwischen Lübeck und Kiel, in der absoluten Pampa, sage ich mal, auf der grünen Wiese schon eine Menge Leute ist.
Thomas Kohler:
Auf alle Fälle. Du hast ja auch davon gesprochen, dass der Inhalt für die jetzige Generation anders konsumiert wird und dass man dahingehend sich auslegen muss als Unternehmen. Inwiefern passt das alles zu dem Thema Corporate Influencing zusammen?
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Also ich habe angefangen mich damit zu beschäftigen, als ich vor genau zehn Jahren, 2014, ein, man halte sich fest, drei Minuten und 14 Sekunden lang dauerndes Video gesehen habe von der Firma Zendesk. Das ist ein Unternehmen aus San Francisco, die beschäftigen sich mit Ticketsystemen. Und die hatten diesen tollen Film reingestellt, ich weiß nicht, wie ich den entdeckt habe, und haben gezeigt, wie cool das Arbeiten bei Zendex ist und haben dann ihre Software erklärt, haben dann gesagt, well, this doesn’t sound cool, but we are making it cool. Die haben dann ihre ganzen Teams gezeigt, die haben dann einen leeren Stuhl gezeigt. This chair is empty. It’s so sad here without you. Also so ein bisschen amerikanisch emotional vor zehn Jahren. Und da kam bei mir der Gedanke, genau, die Stellenanzeige wird sich langsam, aber sicher in Luft auflösen.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Die ist zu lang, das dachte ich schon vor zehn Jahren, zu trocken, zu langweilig. Man kann doch heute filmisch den interessierten Kandidaten, den potenziellen BewerberInnen eigentlich einen Blick hinter die Kulissen geben, wie sich das Arbeiten in dem Unternehmen anfühlt, was jetzt gerade eine Stelle zu besetzen hat. Und dann geht das weiter. Das ist jetzt mal so der historische Abriss, der sich auf die letzten zehn Jahre abläuft. Ich weiß nicht, ob ich jetzt weitermachen soll.
Thomas Kohler:
Kurz möchte ich noch etwas zu Zendesk sagen, weil ich finde, die sind wirklich genial gewesen. Es gab auch aus einer SEO, also Suchoptimierungssicht, ein Kunststück, würde ich das nennen. Wenn man jetzt zum Beispiel Software kauft, dann googelt man vielleicht den Anbietername und Alternativen. Und Zendesk hat festgestellt im Marketing, dass ein Keyword oder eine Suchanfrage recht häufig gesucht wurde, Zendesk Alternatives. Also die Alternativen zu Zendesk. Was die gemacht haben, die haben dann intern auch ein Video gemacht und haben eine Zendesk-Band gegründet und die Band hieß Zendesk Alternatives. Das Wenn man als potenzieller Käufer von einer Software nach Zendesk-Alternativen sucht, findet man nicht die Mitbewerber, sondern das Video, wo die Zendesk-Band singt, finde ich auch genial.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Und ich habe mich, finde ich genial, danke, wusste ich nicht. Toll. Ich habe damals gedacht, bevor du damit bei Vorträgen rausgehst und Zendesk Filmclips zeigst, musst du dich davon überzeugen, dass das wirklich ein guter Arbeitgeber ist. Ich habe denen geschrieben, ich bin Anja Lüth, ich finde euer Video toll, alles 2014, 2015. Wie kann ich euch denn kennenlernen? San Francisco ist ja jetzt ein bisschen weit weg von Berlin. Und dann haben sie mir geschrieben, ja, wir haben auch in Berlin ein Office im Friedrichshain. Du, wir haben da immer so Meetings, komm doch einfach mal zu einem Meeting. Und dann bin ich in ein Meeting gegangen und du, ich sag’s dir, es war so eine gute Stimmung.
Es waren 20 Leute da, dass ich, als ich nach zwei Stunden Meeting daraus ging, gedacht habe, genau dort fühlt es sich gut an zu arbeiten. Und die Rechnung, dass MitarbeiterInnen in Filmclips zeigen, sagen, deutlich machen, wie schön es ist, zu arbeiten. Die Rechnung geht auf, denn mich hatten sie nach zwei Stunden schon eingefangen.
Thomas Kohler:
In case you like my show, please subscribe. I would really appreciate it.
Und was ist danach passiert? Das hast du vor zehn Jahren entdeckt.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Genau. Und da war auf dem Markt vor zehn Jahren Rewe. Und Rewe war einer der ersten, die gesagt haben, mit großen Plakatkampagnen, noch war nicht digital, an den Litfaßsäulen in der U-Bahn, an den Busstationen, hast du einen Mitarbeiter für mich oder eine Mitarbeiterin? Das heißt, die haben ihre Kunden nicht bespielt mit Kaufe, Brot, Butter, Eier, Mehl und Zucker, sondern wir suchen Mitarbeiter. Das war damals revolutionär. Ich habe dann gegoogelt, geguckt. REWE hat dann das Programm aufgelegt, Mitarbeiter suchen Mitarbeiter. 300 Euro hat dann ein REWE-Mitarbeiter damals bekommen. Aber richtig spannend wurde es 2017.
Da hat nämlich die Otto Group unter der Leitung von Eugenia Möning ein richtiges Corporate Influencer Programm für die Otto Group aufgesetzt. Die haben dann auch sehr lustig eigentlich im Hamburger Abendblatt oder Morgenpost oder wie auch immer in der Presse ein Artikel lanciert. Da stand drin, die Otto-Gruppe bildet jetzt Corporate Influencer aus. Alle Otto-Mitarbeiter und so sind aufgefordert, sich dazu bewerben, Denn wir machen ein großes Schulungsprogramm. Und ganz lustig, dass dann so junge Leute, die damals auf Instagram waren, gedacht haben, da werde ich jetzt zur Influencerin und kann da Taschen, Schuhe, Jeans, Fahrräder und Schmuck praktisch als Influencer bei Instagram anbieten. Aber so war es nicht. Otto hat natürlich nur seine tausenden von Mitarbeitern angesprochen. Und da haben sich auch 170 damals gemeldet.
Und die wurden in ein systematisches Schulungsprogramm geschleust. Das führt jetzt so weit, hier das auszuführen. Aber wir wissen ja, dass heute, sieben Jahre später, 2024 im Oktober, die Otto Group vorbildlich auf Instagram, auf TikTok, auf der Webseite sehr appetitlich, freundlich, inspirierend, lustig mit BotschafterInnen arbeitet, neue Mitarbeiter anzuziehen. Behind the scenes, die geben Einblicke und es ist sogar so, dass wenn man sich dort bewirbt, steht auch drin, du kannst dich mit einem Otto-Mitarbeiter auf dem Otto-Campus zum Otto-Café treffen, der erzählt dir von seinem Arbeitsplatz. Denn eins ist klar, das Corporate Influencing heißt, Menschen wollen Menschen sehen und wollen von Menschen hören, wie das Arbeiten sich da anfühlt, wo ich überlege, hinzugehen. Und ich meine, letzter Satz, wir kennen das ja auch schon aus dem Produktmarketing. Wenn du nur Produkte zeigst ohne Menschen, ist der Umsatz nicht so hoch, als wenn in meiner Generation Thomas Gottschalk bei Wetten, dass im ZDF 20 Millionen Zuschauer sagt, und wir essen jetzt alle zusammen Haribo-Gummibärchen. Da war ja im Grunde Thomas Gottschalk der Influencer fürs Produkt.
Thomas Kohler:
Auf alle Fälle.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Jetzt wollen Menschen sehen, Menschen wollen von Menschen hören, diese Gummibären schmecken lecker. Und heute wollen Menschen hören, bei diesem Arbeitgeber sagen wir jetzt nicht, der ist lecker, sondern da fühlt es sich einfach gut an. Der ist attraktiv, der kümmert sich, der ist eine Carrying Company. Wir haben ein tolles Team, wir haben tolle Chefs und so weiter.
Thomas Kohler:
Auf alle Fälle. Und wenn man das jetzt heute anwenden möchte oder wenn man heutzutage als Unternehmen, so Corporate Influencing, für sich nutzen möchte. Womit sollte man denn starten?
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Auf jeden Fall ist das eine Top-Down-Sache. Denn anfangen tut Corporate Influencing, was später digital über TikTok, Instagram und sonstige Kanäle läuft, überlinkt in bei der Unternehmenskultur analog. Das heißt, die Spitze des Unternehmens, Vorständinnen, Geschäftsführerinnen müssen sich einig sein. Wir wollen ein Unternehmen sein, das für Arbeitnehmerinnen attraktiv ist. Und wir investieren da rein. Wir machen Befragungen, was wollen die verschiedenen Zielgruppen. Ja, ich meine, wenn ich ein Krankenhaus bin, kann die Krankenschwester nicht im Homeoffice arbeiten, das geht nicht. Arbeit am Bett.
Aber der IT-Beschäftigte, der kann natürlich im Homeoffice sein. Und Krankenhäuser sind ja etwas historisch, traditionell aufgestellt. Für die ist ja Homeoffice nichts, was zum Beispiel für ein junges IT-Start-up normal ist. Sprich, wenn ich anfange, mache ich erst mal die analoge Arbeitswelt so, dass sich sämtliche Beschäftigte aller Berufsgruppen einbringen, wohlfühlen. Der 19-Jährige, der eine Ausbildung macht, bis hin zur 64-Jährigen, die drei Jahre vor der Rente steht. Alle müssen sich wohlfühlen, denn erst dann kann ich mich auf die Suche machen, nach Menschen aus dem Unternehmen, nach Mitarbeitenden, die bereit sind, in kleinen Clips oder bei LinkedIn-Inposts zu erzählen, dass es wirklich toll ist, in dem Unternehmen zu arbeiten. Beziehungsweise die dann auch sagen können, es ist toll hier, aber machen wir uns nichts vor, Nachtdienst ist schrecklich. Von 22 Uhr bis 6 Uhr morgen 50 Patienten auf einer Station zu versorgen, wenn du dich bei uns bewirbst.
Tolle Klinik, tolle Chefs, tolle Teams, aber wir müssen auch im Sinne einer glaubwürdigen Kommunikation die Sachen erzählen, die nicht so toll sind. Denn wir wollen ja keine Fake News verbreiten. Wir wollen ja schon, es ist ja schon so ein bisschen abgedroschen das Wort, authentisch und glaubwürdig kommunizieren. Wir wollen die Wahrheit sagen, sage ich mal.
Thomas Kohler:
Ja, und Transparenz ist ja dort das A und O, oder? Also wenn man dort nicht transparent auftritt, dann ist es ja später eigentlich nichts anderes, wie Man hat eine Erwartungshaltung geschnürt, die dann nicht eintritt und das führt dann ja auch zur Abwanderung und das ist glaube ich nochmal viel viel viel teurer als gar nicht einzustellen, wenn der Zeitraum auch recht kurz ist. Und hast du jetzt auch Beispiele, wo du siehst, dass zum Beispiel auch Firmen im Bereich jetzt, wie zum Beispiel eine Baufirma, die das auch noch mal gut machen, gibt es dort Ideen, gibt es dort Konzepte, gibt es dort etwas an Beispielen, wo du sagst, ja, das funktioniert gerade oder was funktioniert auch nicht mehr?
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Also du willst jetzt die Differenzierung haben zwischen white-Color-Berufen und blue-Color-Berufen. Wenn du jetzt sagst, Baubranche meinst du blue-Color, da meinst du…
Thomas Kohler:
Zum Beispiel. Oder die BVG mit den Busfahrern, Busfahrinnen. Ist ja auch ein Riesenthema und die machen das in Berlin, finde ich, hervorragend.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Richtig. Da muss man differenzieren. Bei den white-Color-Berufen, den akademischen und so weiter, kannst du sehr gut locken mit Homeoffice, mit 4-Tage-Woche, kannst die Leute erzählen lassen, wie im Grunde genommen flexibel und frei die Arbeitszeit und der Arbeitsort gestaltet werden kann. Ja, bei der Baubranche oder bei Blue-Color-Berufen, da gibt’s ja jetzt das tolle Buch von Martin Gaet, 4-Tage-Woche, kannst du mittlerweile auch mit der 4-Tage-Woche locken und die Leute erzählen lassen, wie gut sich das anfühlt, nur vier Tage zu arbeiten, drei Tage frei zu haben. Aber da fallen eben Sachen, die bei White-Color-Berufen erzählt werden, weg. Und über dem Ganzen steht, der Influencer, egal welcher Branche, muss so erzählen, als ob er bester Freund, beste Freundin von demjenigen ist, der sich überlegt, da zu arbeiten. Und wenn wir zum Beispiel noch mal ins Jahr 2018 zurückgehen, da hat der Herr Glasermeister Sterz sich hingestellt, hat eine Fensterscheibe auf den Boden geschmissen, die ist zerbrochen und hat gesagt, Kinder, ich verzweifle, ich finde hier keine Glaser mehr. Das geht ja so ein bisschen in deine Richtung blue color.
Bei mir ist es so schön zu arbeiten und ich helfe denen beim Führerschein und in der Berufsschule und ich bin in der Ausbildung wirklich gut aufgestellt, ich begleite meine Azubis und so weiter. Hat sich also für sein eigenes Unternehmen als Chef der Sterz 2018 hingestellt, gejammert ein bisschen, aber lustig. Und das hat zu wahnsinnig vielen Bewerbungen geführt, mehr als er überhaupt einstellen konnte. Das heißt, du siehst, du musst die Zielgruppe ansprechen, den richtigen Ton finden. Und da hat Herr Sterz nicht gesagt Homeoffice und 4-Tage-Woche und so weiter, sondern einfach nur gesagt, bei mir fühlt es sich gut an. Ich bin eine väterliche Figur und ich bin 60 und ihr seid 18 oder 17, wenn ihr die Ausbildung anfangen, kommt zu mir. Das heißt, es kommt eben in den Blue-Color-Branchen, wie du jetzt gerade gefragt hast, Bauwesen auch darauf an, den richtigen Ton für die richtige Zielgruppe zu finden und dann den richtigen Kanal. Du wirst Bauarbeiter für Baustellen nicht auf LinkedIn finden. Die findest du wahrscheinlich heute am ehesten bei TikTok.
Thomas Kohler:
Ja, und ich glaube, was dort auch noch mal ganz wichtig ist, eine gewisse Lokalisierung. Wir haben auch für Firmen, die jetzt vor allem zum Beispiel im Energiesektor richtig viel Installateur, Montere, Anlagenmechaniker usw. Benötigen, extreme Schwierigkeiten in der Region festgestellt. Zum Beispiel in der Region Bayern ist es wesentlich schwieriger als in anderen Regionen, weil es dort eine recht starke Wirtschaftsleistung gibt von kleinen Betrieben, die sich aber alle kennen. Da möchte man nicht jetzt zu jemanden gehen, der vielleicht auf TikTok ausgespielt ist und deutschlandweit unterwegs ist, weil das Vertrauen vielleicht nicht so da ist. Und da müsste man vielleicht auch als Unternehmen anders denken und sich überlegen, wie kann ich denn vielleicht auch Betriebe zukaufen und die lokalen Betriebe einfach in der Marke so bestehen lassen als regionaler Betrieb und darüber quasi auch Aufträge abwickeln. Das sind jetzt auch Themen, die wir mit Firmen gemeinsam getestet haben. Also wir haben jetzt für keine Firma einen Betrieb gekauft, aber das war auch eine Strategie, die auch funktioniert hat. Also ich glaube, da muss man auch noch mal generell breiter und abstrakter denken teilweise.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Ja, ich kann das Beispiel zusteuern. Ich habe viele Jahre mit einer Kindergartengruppe aus München zusammengearbeitet. Premium-Segment, heute neun Standorte, Mini-Haus München. Und wir wissen, in Deutschland fehlen 120, 130.000 Erzieherinnen auf dem Markt. Und wie du sagst, München, hohe Dichte an Kindergärten, eine wahnsinnige Nachfrage nach Erzieherinnen, wie packe ich das an? Und da haben wir auch zunächst eine tolle Kultur aufgebaut, dann haben wir überlegt, Influencer-Programm aufzusetzen, haben wir auch gemacht. Wir haben dann Filme gedreht von jedem Standort. Diese Kita hatte damals acht Standorte, heute hat sie neun. Und haben die ausgespielt, Targeting-Marketing, Für die Leute in der Region München, die haben das bei Instagram einfach aufgespielt bekommen, nach dem Motto, möchtest du mit nach Freihamm, hieß dann der neunte Standort.
Und das war sehr erfolgreich, denn der neunte Standort wurde in einem Bezirk in München eröffnet, der vorher eine grüne Wiese war. Da wurde urbanisiert, da wurde dieser neue Kindergarten hingesetzt. Und ich war selber erstaunt, was für eine hohe Reichweite, es war natürlich bezahlte Werbung bei Instagram, Targeting, wir erzielt haben, dass nachher die neuen Stellen, die wir in Freihamn zu besetzen hatten, letztlich nach ein, zwei Jahren auch besetzt werden konnten. Da ist es natürlich, wie du sagst, so, dass die dann von den Konkurrenzkindergärten gewechselt sind.
Thomas Kohler:
Sehr cool.
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Ich hätte noch ein anderes Thema. Also du bist ja auch die Gründerin vom Female HR Excellence Netzwerk. Und jetzt muss ich kurz was trinken. Es ist ja auch immer schwieriger, oder nicht immer schwieriger, aber ich finde es ist immer eine Herausforderung für gewisse Positionen oder Bereiche auch genügend Frauen anzuziehen, beziehungsweise Jobs oder Umfelder für Frauen auch attraktiv zu machen.
Und ich bekomme es auch von vielen Kolleginnen und Freundinnen mit, dass sie teilweise wirklich anders behandelt oder anders gesehen werden, nur weil sie eine Frau sind. Ich finde das halt schon unfair. Was könnte man denn als Arbeitgeber oder als Unternehmen machen, um Frauen besser anzuziehen oder in Positionen, auch vielleicht Vertriebsleitung, IT-Vertrieb, sehe ich sehr stark in meiner Domäne, oder Tech-Positionen. Was könnte man dafür tun, damit man mehr Frauen die Möglichkeit gibt und auch anzieht?
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Also ich danke dir für diese wunderbare, tolle Frage. Du hast völlig recht und da sind wir ja auch mit Herrn Fratscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaft, einer Meinung, Frauen sind das größte Potenzial auf dem Arbeitsmarkt. Und wenn wir uns überlegen, dass 50 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten, aber bei Männern nur 11 Prozent, dann ist das Wahnsinn. Und wenn Unternehmen Bedingungen schaffen würden, dass Frauen mehr arbeiten könnten, dann hätten wir 840.000 Arbeitskräfte mehr. Nur Frauen, die Teilzeit arbeiten, weil sie immer noch die Kehrarbeit übernehmen müssen, kochen, waschen, putzen, bügeln. Das sind hier Zahlen, die die FAZ schon 2022 aus Studien publiziert hat. Und ich muss dir wirklich sagen, ich verstehe nicht, dass sich Unternehmen nicht langsam auf den Weg machen und sagen, dieses Potenzial an Frauen im Zuge des furchtbaren Fachkräftemangels, ich meine, wir gehen davon aus, dass 2035 auf dem deutschen Arbeitsmarkt, wenn die Babyboomer in Rente sind, fünf Millionen Menschen fehlen, dass sie dieses Potenzial an Frauen nicht ausschöpfen. Und was heißt das, wenn ein Arbeitgeber sich attraktiv machen muss? Die Frauen studieren mit 20, da brauchen sie noch keinen Kindergartenplatz und keine große Unterstützung.
Und wir haben ja auch bei den jungen Frauen Karriereambitionen und die machen dann ihr Studium bis 25 und dann bis 30 sind sie angekommen, dann begeben sie sich auf Partnersuche und bekommen dann bis Mitte 35 ihre Kinder. Und da ist dieser sogenannte Gap, dass man dann in die Teilzeitfalle gerät, weil die Unternehmen eben noch nicht flexibel sind, was Arbeitszeit und Arbeitsort betrifft, weil sie noch nicht dabei helfen, Kindergärten zu suchen oder selber anzubieten, einen Babysitter-Service in Anspruch zu nehmen. Da gibt es jetzt sogar Firmen, die eine App haben, wo man sich einen Babysitter besorgen kann. Firmen sagen noch nicht, nimm dir bitte aus unserer Kantine das Essen mit nach Hause, dann brauchst du abends nicht kochen. Firmen haben immer noch nicht verstanden, dass Frauen nur sechs Wochen Urlaub haben, zumindest in Deutschland 30 Tage. Aber Kinder haben in Deutschland zwölf Wochen Schulferien. Und irgendwann sind die auch alt genug und können Ferienfreizeiten besuchen, beziehungsweise könnte auch der Arbeitgeber Ferienbetreuungen für alle Kinder im Betrieb anbieten. Und natürlich sollten Firmen Eltern, nicht nur Müttern, sondern auch Vätern raten, die Elternzeit zu nehmen.
Das heißt, ja, du hast recht, es gäbe eine Menge Möglichkeiten, hier Potenzial auszuschöpfen, aber die Unternehmen wollen noch keine Caring Company nennen. Das ist ja der professionelle Begriff. Ich glaube, den hat Gabor Jansky mal vor zehn Jahren geprägt. Unternehmen, die sich kümmern, und zwar Männer und Frauen. Und natürlich muss dann auch Top-Job-Sharing möglich sein, dass Frauen in höheren Positionen, wenn sie ganz kleine Kinder haben, eben 50 Prozent Vorständin, Aufsichtsrätin, Geschäftsführerin, Abteilungsleiterin sind. Das ist ja in Deutschland noch sehr, sehr, sehr unüblich, dass Frauen in Top-Positionen ganz selbstverständlich mal vorübergehend in Teilzeit arbeiten.
Thomas Kohler:
Ja, auf alle Fälle. Und ich habe auch schon tolle Modelle gesehen, wo man zum Beispiel eine Führungsrolle als Doppelrolle ausfüllt. Also zweimal Mutter und Halbzeit zum Beispiel.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Das ist ja zum Beispiel bei der Firma Edding. Franzi Kühne hat die eine Hälfte des Vorstandspostens und ich weiß jetzt nicht, wie ihr männliches Pendant heißt, der hat das andere Top-Level im Unternehmen, aber von zwei Menschen mit zwei halben Positionen ausgefüllt. Das ist ein Traum und dafür steht Female HR Excellence, mein Netzwerk. Wir sind 18 tolle Frauen. Wir sind natürlich alle Vollzeit berufstätig. Wir haben in dem Netzwerk bei 18 Frauen insgesamt 22 oder 23 Kinder, die wir auf die Welt gebracht haben. Und wir haben natürlich Visionen, dass in ein paar Jahren, wenn die Babyboomer weg sind, in den oberen Etagen 50 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen arbeiten. Aber das geht natürlich nur, wenn die Unternehmen eine Haltung haben und sagen, ja, wir unterstützen Frauen auch mit Mentoring-Programm, mit Führungsprogramm.
Wir lassen sie nicht fallen, wenn sie, ich sage jetzt mal etwas platt, heiraten und Kinder kriegen. Das ist eine Phase, das ist gut so. Denn wir sehen ja, der Deutsche vermehrt sich nicht mehr so. Wir sterben hier langsam aus. Es wurden 1964 1, 4 Millionen Menschen geboren. Heute, 60 Jahre später, nur noch 700.000. Das heißt, wir haben uns halbiert in der Geburtenzahl. Und wenn das nicht noch dramatischer werden soll, finde ich, müssen Unternehmen hier auch gucken, dass sie Frauen einen Arbeitsplatz schaffen, an dem sie sich wohlfühlen und dann natürlich wieder als Corporate Influencerinnen, der Rat einer besten Freundin ist Gold wert, das weitererzählen und dann andere Frauen in das Unternehmen holen.
Thomas Kohler:
Das ist ein schönes Schlusswort, Anja. Vielen Dank für die Episode. Das hat mich sehr gefreut und sehr viel Spaß gemacht. Plus, war es sehr erkenntnisreich.
Prof. Dr. Anja Lüthy:
Sehr gerne. Vielen Dank nochmal für die Einladung.